Der Markt für Übersetzungen

Schon wieder ein neuer Übersetzungsanbieter

Heute habe ich wieder einmal nach der Konkurrenz gegoogelt und bin dabei wieder auf einen neuen Anbieter getroffen.
Die Firma hat eine flotte Webseite mit Online-Preisangebot inkl. Kalkulator und einen ebenso flotten Firmennamen (warum müssen eigentlich alle neuen Firmen, vulgo Startups, immer in „o“ enden?). Ihre Geschäftsführer sind jedoch nicht vom Fach, sondern im wesentlichen frischgebackene Uniabsolventen, aber eben nicht Anglisten oder Romanisten, und kommen auch nicht aus Germersheim, Heidelberg, Leipzig, Köln oder Saarbrücken, wo die universitäre Ausbildung für Übersetzer stattfindet.

Dabei wundert mich eines immer wieder: Wie kommen BWL-Absolventen auf die Idee, sich in einen insgesamt wenig lukrativen Markt hineindrücken zu wollen? Als Marketing- oder Wirtschaftsabsolvent sollte man doch gelernt haben, zuerst den Markt zu beobachten und eher eine unbearbeitete Nische zu besetzen, als gegen Tausende von Unternehmen zu konkurrieren.

Der Übersetzermarkt in Deutschland

Der Übersetzermarkt in Deutschland ist geprägt von einer Vielzahl an Übersetzern verschiedener Sprachenkombinationen und Ausbildungen; es gibt ca. 20.000 beeidigte Übersetzer und sicher noch einmal 10.000 weitere. Von diesen arbeiten wohl nicht alle hauptberuflich, sondern haben einen anderen Brotberuf. Die Mehrheit der hauptberuflichen Übersetzer arbeitet selbständig, wenn ich mich an eine BDÜ-Umfrage richtig erinnere, ca. 85 Prozent. Die etwa 15 Prozent oder 4.500 angestellten Übersetzer arbeiten teilweise beim Staat, also Behörden, Ministerien oder beim Bundessprachenamt, dann in der freien Wirtschaft bei meist größeren Industrieunternehmen und auch bei Übersetzungsbüros. Wieviele größere Übersetzungsbüros es in Deutschland gibt, ist weithin unbekannt. Auf der Webseite http://www.uebersetzerportal.de/bilder2/uepo_300_2011_2014-08-11.pdf werden die 300 größten Sprachendienstleister mit Bilanzsumme genannt. Auch angestellte Mitarbeiterzahlen werden hier genannt, doch weisen die meisten Firmen hier keine Zahlen aus. Bei zwei Firmen werden mehr als 1.000 Mitarbeiter genannt, doch diese Zahlen passen nicht ins Gesamtgefüge der Liste und sind nach eigener Recherche (wohl versehentlich) falsch eingefügt worden. In der UEPO-Liste werden allerdings nur bilanzpflichtige Unternehmen aufgeführt, also in der Regel GmbHs, die ihre Bilanz, nicht aber die Gewinn- und Verlustrechnung, im Bundesanzeiger (https://www.bundesanzeiger.de/ebanzwww/wexsservlet) veröffentlichen müssen. Einzelunternehmen müssen nicht publizieren und stehen daher nicht auf der Liste. Weshalb die von mir erwähnte Neugründung (eine GmbH) nicht ihre Bilanz veröffentlicht, weiß ich nicht, immerhin ist sie nicht mehr ganz neu, sondern schon mehrere Jahre aktiv.

Viele Anbieter von Übersetzungen

Wir haben also einen Markt, in dem einige größere Übersetzungsbüros und sehr viele, nämlich geschätzt 15.000, selbständige Einzelübersetzer im Wettbewerb stehen.
Diese Anbieter kämpfen insgesamt alle miteinander um Aufträge. Dabei stehen oft nicht Qualität, Erfahrung, Sachverstand usw. im Mittelpunkt, sondern vor allem der Preis. Für viele Abnehmer sind Übersetzungen allesamt gleicher Qualität und ist das Produkt Übersetzungen somit austauschbar. Ein so scheinbar generisches Produkt kann dann neben Werbung nur noch über den Preis vermarktet werden. Da die riesige Mehrheit der Übersetzer in ihrer Ausbildung überhaupt nichts über Marketing gelernt hat, weiß sie auch nicht, daß der Wettbewerb über den Preis angesichts ihrer scheinbar wenig differenzierten Leistung eigentlich tabu sein sollte. Doch genau hier ist eines der Probleme des Marktes: Der Preis der Übersetzungsleistungen stagniert, und nicht nur seit ein paar Jahren, sondern schon seit Jahrzehnten. Die seit mindestens 25 Jahren stagnierenden Zeilen- bzw. Wortpreise führen zu einem realen Einkommensrückgang der Übersetzer. Während praktisch alle anderen freiberuflichen Einkommen, wie z.B. der Ärzte, Rechtsanwälte oder Architekten, über die Jahre steigen, sinken die der Übersetzer. Ein Grund hierfür ist die fehlende Verkammerung – alle genannten Berufsgruppen gehören einer Kammer an, deren Gebührenordnungen regelmäßig zumindest mit der Inflation angepaßt werden. Übersetzern wurde die Verkammerung bislang verwehrt.

Die langjährig stagnierenden, also gesunkenen Preise für Übersetzungen widerspiegeln sich im übrigen auch in den Gehältern der bei Übersetzungsbüros angestellten Übersetzer, die weit niedriger sind als die anderer Akademiker. Dies kann sich dann mittelbar auch in der Zufriedenheit mit dem Arbeitgeber auswirken.

Angesichts der fehlenden Attraktivität der Branche fällt es mir also sehr schwer zu verstehen, weshalb frische Uniabsolventen sich nicht für eine gute und auch gutbezahlte Karriere in der Industrie entscheiden.

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